Das versunkene Kapellchen

 

 

 

Durch Altdeuten fließt der Hammbach. Er durchschlängelt hier ein ausgedehntes Gebiet saftiger, grüner Weiden. In den Frühsommer-Monaten sieht man die Landwirte bei der Heuernte, später grasen Rinder neben dem hurtig dahin plätschernden Wasserlauf. Einen dieser Wiesengründe kennen die Deutener unter dem Namen: „Versunkenes Kapellchen“. Und ein betagter, alteingesessener Bauer weiß zu berichten, dass, wenn man sich dort ins grüne Gras legt und das Ohr fest gegen den Boden drückt, man den hellen Klang eines Glöckchens aus der Tiefe ganz deutlich vernimmt.

 

Was hat es mit dem Glöckchen und dem seltsamen Flurnamen auf sich? Der Leser wird sich schon denken können, dass eine alte Geschichte dahinter steckt wie so oft, wenn etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Überlieferung und Fantasie haben im Laufe der Zeit eine sagenhafte Geschichte entstehen lassen, die einige Jahrhunderte zurückliegt und für die es sich lohnt, sie festzuhalten und aufzuschreiben.

 

Da gab es in Deuten einen recht frommen Mann, der gerne betete. Das Kirchlein in Wulfen war fern, und so begab er sich in die freie Natur, um ungestört mit Gott zu sprechen. Einmal saß er dabei in einer Lichtung auf einem umgestürzten Baumstamm in der Nähe des Hammbachs. Er hörte das gleichmäßige Plätschern des Gewässers und ihm gelang an dieser Stelle ein besonders inniges Gebet. Er fühlte sich Gott ganz nahe. Da nahm er sich vor, seine täglichen Gebete genau an diesem Orte zu verrichten. Er kennzeichnete den Platz mit einem dicken Stein. Um ganz sicher zu gehen, die genaue Stelle wiederzufinden, legte er im Laufe der Zeit dem ersten Stein weitere hinzu, sodass führ ihn eine regelrechte Gebetsstätte entstand. Und wie sich im Leben oft eins aus dem anderen ergibt, wuchs langsam in unserem frommen Beter der Wunsch, ein richtiges kleines Gotteshaus aus vielen Steinen hier aufzubauen. Er setzte seinen Traum in die Wirklichkeit um. Nicht von heute auf morgen. Neun, es dauerte schon eine kleine Weile, bis er ein einfaches Mauerwerk aufgerichtete hatte, es mit Holz und Grasplaggen deckte und schließlich zu seiner Freude auch noch ein ihm geschenktes Glöckchen in einem aufgesetzten Holztürmchen aufhängen konnte.

 

Die Jahre vergingen, er betete und träumte, und dabei festigte sich in ihm der Gedanke, sein Leben mit einem Pilgergang nach Rom zu krönen. Auch diesmal machte er seinen Traum wahr. Er brach auf nach Rom.

 

Er war noch nicht lange fort, als Schmuggler zwischen den Niederlanden und Deutschland, die damals unsere Gegend unsicher machten, das leer stehende Kapellchen in dem einsamen Waldgebiet um Deuten entdeckten. Ein großartiges Versteck für ihre Schmugglerware. Bald war das kleine Gotteshaus Treffpunkt dunkler Gestalten. Sein Erbauer und Besitzer aber war weit entfernt. Nach einem mühevollen und langen Weg, doch immer das hohe Ziel vor Augen, erreichte unser Einsiedler endlich die Ewige Stadt. Rom. Erschöpfung und Freude ließen den frommen Mann in einen tiefen, traumlosen Schlaf fallen, aus dem er nicht mehr erwachte. Andere Pilger fanden ihn tot auf den Stufen der Peterskirche.

 

In Deuten aber wollten die Schmuggler Waren aus ihrem Versteck holen. Doch sie fanden das Kirchlein nicht. Zuerst glaubten sie, sie könnten am falschen Ort sein. Ihre Suche nach dem Häuschen blieb jedoch ergebnislos. Man erzählt sich, das Kapellchen am Hammbach sei in dem Augenblick im Erdboden versunken, als der fromme Einsiedler und Pilger seine Augen für immer schloss. (Ludwig und Gertrudis Tüshaus)