Der Spuk am Hagen
Früher war das Stadtgebiet von Dorsten zur Hälfte Heideland. Die oft darüber schwebenden Nebelschwaden und die verschiedenen Geräusche regten viele Fantasien an und brachten so manchem Reisenden das Gruseln bei. Man kann ja über Spukgeschichten denken, wie man will. Es ist jedermanns eigene Sache, an deren Wahrheit zu zweifeln. Besonders, wenn erzählt wird, dass die Begebenheit sich vor vielen hundert Jahren zutrug. Anders wird die Sache schon, wenn der Vorfall nicht ein Menschenleben lang im Volksmund umgeht und alle, selbst die kleinsten Begleitumstände, warm und frisch berichtet werden. Noch anders, wenn der Erzähler selbst der Träger der Geschichte ist, sogar einen Begleiter als Zeugen stellt und zudem ein wirklich ernst zu nehmender Mensch ist, der, allen Angriffen zum Trotz, immer wieder für seine Sache eintritt, eintritt mit ehrlichem Eifer, mit seiner ganzen Persönlichkeit, und nimmer davon lassen will.
So steht es auch in der Geschichte, die der alte Orthaus öfters vortrug, wenn er darauf gebracht wurde. Der Schauplatz ist der Weg an der Nordseite des sagenumwobenen Hagen, die Strecke zwischen Gerling und Schulten Jann. Dort hat ein unseliger Streit die Menschen oftmals in furchtbare Schrecknis gebracht. Auch einmal den alten Orthaus. Hören wir ihn selbst erzählen, wie es ihm geschah, wie er es mir unter vier Augen kurz vor seinem Tod gesagt hat:
Also, so fing es an: Ich komme eines Tages nach Feierabend ins Haus und treffe eine Verwandte aus der Wenge bei meiner Frau. Ich wundere mich, dass sie gegen alle Gewohnheit so spät auf Besuch kommt. „Ich muss heute Abend auch noch wieder weiter.“ sagte sie. „Morgen früh fangen in Gemen Exerzitien an, da will ich mitmachen, und da muss ich noch nach Schulten Jann; denn Liesbeth will auch mit, und ich habe versprochen, sie abzuholen. Ich habe gedacht, du würdest mich begleiten. Sieh, ich konnte nicht früher von Haus ab, es wird schon dunkel, und allein bin ich zu bange.“
Nun, ich ziehe mich um, wir essen noch etwas, erzählen dabei das Neueste von hüben und drüben, stecken die Sturmlaterne an und machen uns auf die Beine. Ich voran, sie hinter mir her. So kommen wir von Brosthausen aus durchs Lasthauser Feld an den Hagen. „Gut, dass du die Laterne hast.“ sagt meine Verwandte. „Was ist das doch dunkel zwischen den Büschen.“ Ich beruhige sie: „Ich bin nicht ängstlich. Dir geschieht nichts. Und es ist ja nicht mehr weit. Bleib nur nah bei mir.“ Wir gehen schon neben dem Hagen. Einen Augenblick sind wir still. Keiner sagt etwas. Wir hören nur unsere eigenen Tritte.
Auf einmal hören wir oben am Hagen weit vor uns ein „Buäh! Buäh!“, erst ziemlich leise und lang gezogen, wie von einem Kalb. Ich denke im ersten Augenblick, ein Fuchs rennt hinter einem kranken Reh her. Aber dann kommt das Geräusch immer näher und näher. Das Blöken wird Bölken. Das Bölken wird Brüllen. Da ist es ganz nah vor uns. Wir halten uns fest. Da braust es und tobt es über uns in der Luft, als wenn Feuer in einer alten Scheune so recht Sturm erhält. Als wenn die Balken krachend brechen, so knattert und rattert und saust es im Kreise über unseren Köpfen. Und dazwischen markerschütterndes „Buäh! Buäh! Buäh!“ des Kalbes. Alle Höllengeister sind auf uns losgelassen.
Doch nur so lange dauert es, wie ich davon erzähle. Und wie er gekommen, so weicht der Spuk zurück, den Hagen hinauf, abschwellend und immer leiser werdend, bis er im Echo des Waldes ganz verhallt. Wir atmen auf. Was machen wir nun? Sollen wir zurück gehen? Aber wir wollen uns nicht sagen lassen, dass wir vor einem Spuk weggelaufen sind. So fasse ich meine Verwandte bei der Hand und schreite vorwärts. Aber kaum sind wir ein wenig gegangen, da wiederholt sich der Schrecken genau so wieder. Ich lasse mich nicht beirren. Wir arbeiten uns weiter vor. Doch bis wir in dem Busch nach Schulten Jann einbiegen, erleben wir alles noch einmal. In Schweiß gebadet und bleich im Gesicht treten wir in die Stube.
„Euch hat das Kalb angebrüllt.“ So werden wir empfangen, „Aber das ist nichts Neues. Da seid nur ruhig darüber. Das ist schon mehr Leuten begegnet, dem und dem und dem. Es ist der unruhige Schlossgeist, der verbannt im Runebrauk leben muss und nicht wieder in den Hagen und auf das Schloss darf. Der Weg ist ihm zur Grenze gesetzt. Darum tobt er manchmal so den Zaun hinauf und hinunter. Er bringt dann Menschen, die gerade des Weges kommen, in furchtbare Angst. Aber tun darf er ihnen nichts. Nun esst nur. Erholt euch. Und denkt nicht mehr daran.“
Der Tisch stand gedeckt. Wir haben aber nichts angerührt. Ich sollte die Nacht dort bleiben. Doch ich musste nach Hause. Meine Frau und meine Kinder hätten sich sonst um mich gesorgt. Darum ging ich den Weg zurück. Aber das eine sage ich: Sollte ich es heute noch einmal tun und das noch einmal alles erleben, was mir auf der Heimkehr noch wieder begegnet ist mit dem unsichtbaren Kalb, um alles in der Welt, ich täte es wahrhaftig nicht mehr. Nie und nimmer. Es war zu schrecklich am Hagen. (Hugo Hölker)
Literatur:
Edelgard Moers (Hrsg): Dorstener Geschichten. Dorsten 2000. Seite 54 ff
Liste der Preisträger:
Gruppe der 17-20jährigen
1.Preis Michel Lee Flamme des Lebens
2.Preis Pauline Bartling Erbarmungslos
3. Preis Anja Greuel Hinter dem Lächeln
4.Preis Nicole Herner Unvorstellbar
4.Preis Philipp Hallbauer Poetry Slum
4.Preis Sophia Benning Zwanzig Dinge…
Gruppe der 13-16 Jährigen
1.Preis Anna Plümpe Loslassen
1.Preis Jette Tewes Sinn
2.Preis Edda Emilia Wasserbauer Berechenbar unberechenbar
2. Preis Isabel Paasch Maybe tomorrow
3.Preis A. Michelle Guski Stillstand
3.Preis Franca Beckmann Zufriedenheit
Gruppe der 8-12 Jährigen
1.Preis Lena Marie Micheel Grüne Zauberwelt
1.Preis David Minor Mein geheimnisvoller Ball
2.Preis Linda Bernsmann Die Kinder
3.Preis Sophie Minor Meine Verabschiedung
3.Preis Maximilian Hoppe Der Sommer
Sonderpreis
25 Schüler und Schülerinnen der Klasse 6a der Realschule
St. Ursula Dorsten
Schüler der 5. Klasse der Europa Schule Martin Luther in Herten
Sondergruppe Politisches Gedicht
1.Preis Daniel Gruber Die Würde
2.Preis Leandra Kuchenbäcker Unserer schönen Demokratie
3.Preis Max Venghaus Grau
4.Preis Sabeth Maria Dugdale 10 Sekunden der Welt
Sonderpreis englisches Gedicht
1.Preis Junis Bauer In the forest