Die Eule vom Hardtberg

 

 

 

Auf dem Hardtberg, mit Blick auf die Lippe, lebte einst eine Frau, die gar wunderlich anzusehen war. Den hageren Körper bedeckten mehrfach übereinander geschichtete Tücher, die Füße mit den gebogenen Zehen glichen Vogelkrallen. Am auffälligsten jedoch war der Anblick des Kopfes. Unter an beiden Stirnseiten zusammengeknoteten Haaren schauten große grüne Augen den Betrachter furchtlos an. Von den einen wurde sie die „weise Eule“, von anderen die „Spökenkiekerin“ gerufen.

 

Man erzählte sich, dass so manch einer heimlich zu ihr ging um zu erfahren, ob er in Gefahr sei. Andere wiederum hätten es gerne gesehen, wenn man die Frau eingesperrt oder gar ganz vernichtet hätte. Sie glaubten, ihre „Spökenkiekereien“ verhexten die Menschen und machten sie zu Kreaturen, die ängstlich in die Zukunft schauten, unfähig, zielstrebig ihrer Arbeit nachzugehen.

 

Als die „Eule“ nun gar einen Angriff auf die Stadt Dorsten voraussagte, war man sich schnell einig: Diese Frau musste verschwinden. Einige Männer, deren Hass besonders groß war, weil ihre Geschäfte immer schlechter gingen, trafen sich, um zu besprechen, wie man vorgehen sollte. Sie bemerkten nicht, dass sie von einem kleinen Mädchen belauscht wurden. Viele behaupteten, dass es sich dabei um die kleine Jutta von Hagenbeck gehandelt habe, die oft mit ihrem Vater auf dem Hardtberg war. Sie war schon mehrere Male bei der Eule gesehen worden und hatte jetzt wohl die Frau gewarnt.

 

Schon bald machte sich die Truppe von Männern auf den Weg zum Hardtberg. Kurz vor dem Ziel schrie einer: „Feuer! Dorsten brennt!“ Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, ihre Habe zu retten und die „Eule“ zu zerfleischen, machten sie sich schließlich doch auf den Heimweg. Aber es war zu spät, ihre Häuser brannten bis auf die Grundmauern nieder. Sie schwuren Rache. Als sie jedoch erneut zum Hardtberg marschierten, trafen sie niemanden mehr in der Hütte an. Stattdessen hatte jemand die Figur einer Eule vor die Tür gestellt, umringt von toten Vögeln.

 

Forscher fanden später heraus, dass der Schlussstein im Gewölbe der Sherborne Abbey/Dorset „Die hassenden Vögel“ dieses Ereignis wiedergibt. Welcher Zusammenhang mit dem Dorstener Ereignis besteht, ist noch nicht geklärt. Wohl aber soll seitdem das Wort „Hass“ aus dem Wortschatz der Menschen in Dorsten gestrichen worden sein. Jutta von Hagenbeck, die später die Geschichte in Holsterhausen mit beeinflusste, sorgte dafür, dass sich auf dem Hardtberg wieder eine „Spökenkiekerin“ ansiedelte. Sie wurde oft mit ihr gesehen.

 

(Brigitta Frieben)

 

Literatur:

 

Edelgard Moers (Hrsg): Andere Dorstener Geschichten. Dorsten 2005. Seite 151

 

ff.