Die Sage vom großen Schlüter
„Oh, du schöner, grüner, deutscher Wald! …“, sangen die Romantiker im späten 19. Jahrhundert und begrüßten so den Wald als wundersamen, sagenumwobenen Ort, in dem Elfen, Feen und Zwerge hausten und an dem man auf wundersame Art verzaubert werden konnte.
Für die früheren Zeitgenossen des Mittelalters und der Neuzeit war der Wald weitaus bedrohlicher. Da er noch viel mehr Fläche als heute bedeckte, konnte man sich in ihm viel leichter verirren und nicht wieder herausfinden. Viel Nutzen konnte man aus ihm nicht ziehen; denn das Jagen war dem gemeinen Bauern und Tagelöhner verboten, so dass er nur für die Holz- und Pilzsuche in Frage kam.
Wenn doch einer meist aus Hunger wagte, ein Wild zu erlegen, musste er, wenn er erwischt wurde, mit schwerer Bestrafung, ja sogar mit dem Tode rechnen. Deshalb wurde der Wald von den Menschen gemieden, bildete aber wegen seiner Dichte ein ideales Versteck für Räuber und Wegelagerern, die dann dort den Reisenden auflauerten und sie um ihre wenige Habe brachten.
Aber nicht alle Waldbewohner waren Räuber. Es gab auch manche, die mit der damaligen Obrigkeit oder den strengen Regeln einer Dorfgemeinschaft nicht klar kamen, deshalb außerhalb jeder Gemeinschaft im Wald lebten und sich dort von den Früchten und dem Wild ernährten. Für die Oberschicht und ihre Ordnungsmacht waren diese Menschen Wilderer, die sich an herrschaftlichem Eigentum vergriffen. Vom gemeinen Volk konnten sie nicht richtig eingeordnet werden: einerseits wurden sie bewundert als Menschen, die sich von Ordnungszwängen nicht unterkriegen ließen, andererseits wurden sie gefürchtet, weil sie aus der Not auch leicht zu Räubern werden konnten.
Von einem solchen Wilderer, dem „groten Schlüter“, berichtet uns die vorliegende Sage. Er soll aus dem Borkener Raum gekommen sein und lebte in der Hohen Mark zwischen Specking und Haltern. Oft hielt er sich in den Waldschluchten des „griesen Mönnink“ auf, die von dem Bensberg zur Hexenbuche herabführen. Hier verlief damals auch die Straße von Borken nach Haltern, die in diesem sehr wilden Abschnitt besonders gefürchtet war, weil hier schon so mancher Leineweber aus Borken und mancher kleine Kaufmann um ihre Habe, manchmal sogar um ihr Leben gebracht worden waren. So kam es, dass der große Schlüter - er wurde so genannt, weil er sehr groß und kräftig war – mehr gefürchtet als bewundert wurde. Dass er aber ein Räuber war, widerspricht folgende Geschichte, die von ihm erzählt wird:
Einmal kam eine Frau vom Wochenmarkt in Haltern zurück nach Specking, nutzte für den Heimweg die Straße nach Borken und kam so naturgemäß in den Bereich des „griesen Mönnink“. Als sie dort plötzlich einer hünenhaften Gestalt gegenüberstand, bekam sie einen furchtbaren Schrecken und musste natürlich sofort an den großen Schlüter denken. Doch der Mann grüßte sie freundlich und fragte sie, ob ihr nicht gut sei; denn der Schrecken hatte ihr alle Farbe aus dem Gesicht vertrieben. Sie verneinte und erzählte ihm stockend, dass sie so Angst vor dem großen Schlüter habe. Da lachte der Fremde und sagte: „Gute Frau, dann
werde ich dich bis Specking begleiten. In meiner Begleitung wird dir nichts passieren.“
Ohne weitere Zwischenfälle wanderten sie durch den Wald, bis er lichter wurde und die ersten Häuser von Specking sich zeigten. Der Mann blieb stehen und sagte: „Von hier aus musst du alleine weitergehen; denn die Menschen mögen mich nicht sehr. Du kannst aber ruhig erzählen, dass der große Schlüter dich sicher nach Hause geleitet hat.“ Mit diesen Worten eilte er wieder in den dichten Wald.
Es gibt sicher noch weitere gute Geschichten über unseren Wilderer zu erzählen, aber die Furcht vor ihm überwog. So kam es, dass ein Schneider auf dem Weg von Lippramsdorf nach Lavesum, der auch über den „griesen Mönnink“ führte, mitten in einer Waldschlucht Feuer roch und zwischen den Bäumen dünnen Rauch aufsteigen sah. Er kannte die Geschichten um den großen Schlüter und eilte schnell weiter nach Lavesum, um dort dem Förster von seiner Entdeckung zu berichten. Dieser kehrte mit einem Gewehr bewaffnet und den Schneider zur Seite an den Ort zurück, wo der Lippramsdorfer den Brandgeruch bemerkt hatte.
Dort fanden sie eine kleine Höhle, die mit Moos bedeckt war und vor der ein kleines Feuer brannte. Auf dem Feuer stand ein Topf mit einem geköpften Huhn darin. Von dem Bewohner dieser Höhle war aber keine Spur zu sehen. Trotzdem war beiden klar, dass hier der große Schlüter hauste. Der Förster meldete, was er gesehen hatte, der Landpolizei weiter, die die günstige Gelegenheit nutzte, um dem Treiben des Wilddiebs ein Ende zu machen. Mit einem stattlichen Aufgebot an Gendarmen, Förstern und Bauern begann schon am nächsten Tag eine richtige Treibjagd auf den großen Schlüter. Dieser erkannte bald die drohende Gefahr der Einkesselung und versuchte, durch die Reihe der Bauern zu schlüpfen, obwohl auch diese Gewehre hatten. Eigentlich hatte er als Wilderer von Bauern nichts zu befürchten, Polizei und herrschaftliche Waldeigentümer waren seine eigentlichen Feinde. Doch gerade hier traf ihn eine Kugel und verletzte ihn schwer. „An alles habe ich gedacht, nur nicht daran, dass ein Bauer auf einen Wilddieb schießen würde“, sollen seine enttäuschten Worte bei seiner Festnahme gewesen sein.
Die Sage berichtet nicht, wie es mit dem großen Schlüter weiterging, ob er zum Tode verurteilt wurde oder nur Kerkerhaft erdulden musste. Auf jeden Fall dürfte bei seiner Freiheitsliebe die Todesstrafe von ihm leichter ertragen worden sein. In der Hohen Mark ist er nicht mehr aufgetaucht, doch in der Sage wird er für uns weiterleben.
Auch heute noch gibt es immer wieder Menschen, die ihre Freiheit über alles lieben und menschlichen Zwängen und staatlicher Ordnung aus dem Wege gehen. Wir finden sie heute nicht mehr als Einsiedler und Wilderer, meistens leben sie in unserer Zeit als Obdachlose. Wie die Leute von damals haben wir ein zwiespältiges Verhältnis zu ihnen: Insgeheim bewundern wir sie, weil sie etwas haben, was wir uns in unserer Welt der Zwänge nicht mehr leisten können, andererseits stören sie uns in unserer mühsam zusammengekitteten, heilen Welt.
Literatur: Edelgard Moers (Hrsg): Dorstener Geschichten. Dorsten 2000
Liste der Preisträger:
Gruppe der 17-20jährigen
1.Preis Michel Lee Flamme des Lebens
2.Preis Pauline Bartling Erbarmungslos
3. Preis Anja Greuel Hinter dem Lächeln
4.Preis Nicole Herner Unvorstellbar
4.Preis Philipp Hallbauer Poetry Slum
4.Preis Sophia Benning Zwanzig Dinge…
Gruppe der 13-16 Jährigen
1.Preis Anna Plümpe Loslassen
1.Preis Jette Tewes Sinn
2.Preis Edda Emilia Wasserbauer Berechenbar unberechenbar
2. Preis Isabel Paasch Maybe tomorrow
3.Preis A. Michelle Guski Stillstand
3.Preis Franca Beckmann Zufriedenheit
Gruppe der 8-12 Jährigen
1.Preis Lena Marie Micheel Grüne Zauberwelt
1.Preis David Minor Mein geheimnisvoller Ball
2.Preis Linda Bernsmann Die Kinder
3.Preis Sophie Minor Meine Verabschiedung
3.Preis Maximilian Hoppe Der Sommer
Sonderpreis
25 Schüler und Schülerinnen der Klasse 6a der Realschule
St. Ursula Dorsten
Schüler der 5. Klasse der Europa Schule Martin Luther in Herten
Sondergruppe Politisches Gedicht
1.Preis Daniel Gruber Die Würde
2.Preis Leandra Kuchenbäcker Unserer schönen Demokratie
3.Preis Max Venghaus Grau
4.Preis Sabeth Maria Dugdale 10 Sekunden der Welt
Sonderpreis englisches Gedicht
1.Preis Junis Bauer In the forest