Der Kampf um die Lippebrücke

 

 

 

Wer unsere St. Agatha Kirche betritt, um entweder zu beten oder auch nur ihren

 

schönen Bau zu bewundern und zu betrachten, kann hinten in der Kirche einen

 

kleinen Epitaph (Gedenkstein) entdecken, auf dem neben dem Bibelspruch

 

„Die Gottlosen rufen: Ihr Berge bedeckt uns, ihr Hügel fallt über uns“ die Enthauptung

 

Johannes des Täufers dargestellt ist. Das Epitaph ist von den Dorstener

 

Bürgern vor ca. 400 Jahren gestiftet worden, um dem Tod ihres damaligen

 

Bürgermeisters zu gedenken. Im unteren Bereich des Steins ist auch der Grund

 

dieser Ehrung genannt: „Anno Domini 1597 den 10. 8. ist der ehrbare und vornehme

 

Heinrich Palen, Kaufgildemeister dieser Stadt von Mathiesen von Westerholt,

 

Herrn zu Lembeck, unverschuldter Sachen gefencklich eingezogen (ins

 

Gefängnis gebracht) und von desselben gottlosen Soldaten jämmerlich geschlagen

 

und dahero den 4. Sptbr (September) in Godt verstorben.“

 

Die Geschichte, die sich hinter dieser Inschrift versteckt, führt uns in eine Zeit

 

zurück, in der sich die Stadt Dorsten unter der Oberhoheit des Kölner Bischofs

 

befand, während die Herrlichkeit Lembeck zu Münster gehörte. Die Grenze dieser

 

beiden Hoheitsbereiche war damals die Lippe, die aber noch in ihrem alten

 

Bett floss, d. h. dort, wo sich heute der Kanal befindet. Durch Reformation und

 

Gegenreformation war das alte Gleichgewicht zwischen Papst und Kaiser, d. h.

 

zwischen Kirche und Weltadel aus den Fugen geraten. Es war eine sehr stürmische

 

Zeit, aus der mancher versuchte, Profit zu schlagen.

 

1595 war der letzte männliche Spross der Grafen von Lembeck gestorben, durch

 

Heirat wurde nun Matthias von Westerholt Herr der Herrlichkeit Lembeck. Warum

 

es eine seiner ersten Taten war, den Dorstenern das alleinige Zollrecht an

 

der Lippebrücke streitig zu machen, wird wohl sein Geheimnis bleiben, vielleicht

 

war es die unruhige Zeit, die vermeintliche Gunst der Stunde, oder die einfache

 

Gier nach dem Geld. Er versuchte es zuerst auf dem Verhandlungswege, aber die

 

Dorstener Kaufmannsgilde wies sein Ansinnen entrüstet zurück und war zu keinem

 

Kompromiss bereit. Daraufhin wollte er Fakten schaffen und schickte Soldaten

 

an die Brücke, die Zoll für ihn eintreiben sollten.

 

Als die Dorstener Kaufmannschaft von diesem Ereignis erfuhr, das sich in Windeseile

 

in der ganzen Stadt herumsprach, eilte sie geschlossen auf die Brücke,

 

um die Soldaten dort schnell wieder zu vertreiben, voran der Bürgermeister

 

Heinrich Palen. Wir wissen nicht, ob er den Kampfgeist der Soldaten unter- oder

 

seine Autorität überschätzt hatte, auf jeden Fall nahmen die Lembecker ihn

 

quasi als „Rädelsführer“ gefangen, um dem gegnerischen Angriff die Spitze zu

 

nehmen. Es kam trotzdem zum Kampf, bei dem die Dorstener die feindlichen

 

Soldaten vertreiben konnte, ohne allerdings Herrn Palen befreien zu können.

 

Dieser musste dann wohl für die „Niederlage“ büßen. Wie der Epitaph berichtet,

 

ließ Graf Matthias den armen Gildemeister der Dorstener Kaufmannschaft foltern

 

und schließlich töten.

 

Soweit unsere Geschichte. Gewiss, sie ist nichts Besonderes. Wer es will, wird in

 

unserer Stadt-, Landes oder Weltgeschichte unendlich viele solcher und noch

 

schlimmerer Berichte finden können. Aber es berührt doch, dass Leute, die sich

 

früher feindlich gegenüber standen, heute friedlich in einer Stadtgemeinschaft

 

zusammenleben, dass die meisten von uns den Zoll nur noch kennen, wenn sie in

 

weit entfernte Länder fahren. Trotzdem können wir leider nicht sagen, dass unsere

 

heutige Welt besser ist. Wir scheinen aus den Dummheiten und Fehlern, die

 

unsere Vorfahren gemacht haben, nicht lernen zu wollen. Und so kann man, wie

 

Jörg von Frundsberg zu Luther, als dieser auf dem Weg zum Wormser Reichstag

 

war, nur sagen: „Menschlein, Menschlein, du gehst einen schweren Weg“, wenn du

 

nicht endlich damit anfängst, aus deiner Geschichte zu lernen. (Peter Bertram)

 

Literatur:

 

Edelgard Moers (Hrsg): Dorstener Geschichten. Dorsten 2000. Seite 36 ff