Die Sage vom Heidenkönig

 

 

 

In der heutigen Zeit können wir mit dem Begriff „König“ eigentlich herzlich wenig anfangen. In Deutschland gibt es schon lange keine Könige mehr, wenn man  von Schützenkönigen einmal absieht. Könige und Königinnen kennen wir aus der Regenbogenpresse, wo vor allem ihre Nachkommenschaft meistens nicht als Vorbild erscheint, oder sie engagieren sich mehr oder weniger für wohltätige Zwecke. Ansonsten leben sie in einer Glasglocke von Etikette, Protokoll und Reichtum und sind ganz sicher keine Menschen wie du und ich.

 

Will man etwas von der ursprünglichen Bedeutung eines Königs erfahren, geht man am besten in die Welt der alten Römer zurück. Die lateinische Übersetzung des Wortes lautet „rex“, was sich auf „regere“ (lenken, leiten) bezieht. Ein König war also einer, der sagte, wo es lang ging. Er war der Kopf, der Anführer eines Volkes oder eines Stammes, er entschied, was gemacht wurde, er führte sein Volk in den Krieg. Gegenüber einem Princeps oder Häuptling unterschied sich der Rex darin, dass er meistens ein Volk mit mehreren Stämmen führte. Das Volk sah in seinem König etwas Besonderes, identifizierte seine Gemeinschaft mit seiner Person. Ihm stand der größte Teil der Kriegsbeute zu, sein Reichtum war Grundlage für die Bedeutung des Volkes. Der König musste wie der Princeps und Häuptling ein starker und tapferer Mann mit außergewöhnlichen Fähigkeiten sein. Daraus ergibt sich, dass der Niedergang des Königtums schon damit begann, es in Erbfolge zu setzen.

 

Vor langer Zeit, zu Anfang der deutschen Geschichte, hatte Karl der Große sich entschlossen, die aggressiven Sachsen, die immer wieder in Gebiete seines Reiches einfielen und dort mordeten und brandschatzten, endgültig zu befrieden und zu christianisieren. Gerade letzteres verletzte die Ehre der stolzen Sachsen; denn es wurde schließlich von ihnen verlangt, ihrem alten Wodansglauben abzuschwören und von ihren Jahrhunderte alten Traditionen und Bräuchen abzulassen.

 

Trotz ihrer militärischen Unterlegenheit wehrten sich deshalb die Sachsen verbissen, so dass Karl über dreißig Jahre brauchte, bis der letzte Widerstand gebrochen war. Immer wieder flammten Aufstände und Unruhen auf und wurden hauptsächlich auf dem Boden des heutigen Niedersachsens, teilweise aber auch im Münsterland bis hin zur Lippe blutig und mit aller Härte ausgetragen.

 

Von einem solchen Aufstand berichtet unsere Sage. Dabei muss es nördlich von Lembeck, zwischen Brink und Vorholt, zu einer Entscheidungsschlacht gekommen sein. Der Anführer des sächsischen Stammes, der Heidenkönig, ein Mann von hünenhafter Gestalt, führte seine Mannen in eine blutige Schlacht; denn auch die Franken verstanden zu kämpfen. So wogte der Kampf hin und her, und der Ausgang war völlig ungewiss, als den wütend kämpfenden König ein Pfeil mitten ins Herz traf. Mit einem Fluch auf die Franken und den Christengott sank er leblos seitwärts an seinem Pferd herab und wurde nur noch durch die Steigbügel auf ihm gehalten. Zügellos scheute das Ross, ging durch und eilte in einen nahe liegenden Wald. Als die Sachsen sahen, dass ihr König gefallen war, entstand eine heillose Verwirrung in ihrem Heere. Die meisten gaben auf und wurden gefangen genommen oder erschlagen. Nur wenigen gelang die Flucht in besagten Wald, wo sie sich weit entfernt vom Schlachtort wieder sammeln konnten. Wenig später entdeckten sie das Pferd mit ihrem toten König auf einen Hügel. Dort begruben

 

sie ihn und gaben ihm für sein jenseitiges Leben in Walhall seinen ganzen Schmuck mit und alles Gold, was sie bei sich hatten. Sie bedeckten die Grabstätte mit Moos und Zweigen, damit kein Grabräuber die Schätze finden könnte. „So schläft er nun von Gold bedeckt schon über tausend Jahre im stillen Hügelland von Wessendorf, der Heidenkönig“, so schließt unsere Sage.

 

So hat auch unser Dorsten ein Königsgrab. Wer also heute durch die Brinker Heide oder durch den Wessendorfer Elwen wandert, der sollte sich des eschichtsträchtigen Ortes bewusst sein und ein wenig an die Zeit denken, in der Könige noch Könige und Treue und Dankbarkeit noch keine Sekundärtugenden waren. (Peter Bertram)

 

Literatur:

 

Edelgard Moers (Hrsg): Andere Dorstener Geschichten. Dorsten 2005. Seite

 

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