Der Spökenkieker in der Gälkenheide

 

 

 

In der Gälkenheide lebte ein alter Schäfer. Er hatte eine ganz besondere Gabe,

 

er konnte in die Zukunft sehen. Meistens traf das ein, was er prophezeite. Deshalb

 

nannten die Leute ihn Spökenkieker. Ein Bauer aus der Wenge ging gerne

 

zum Schäfer wegen der Geschichten und wegen des selbstgemachten Wacholderschnaps

 

und des Honigs; denn der Schäfer war auch mit Leib und Seele Imker

 

und von Kräutern verstand er viel. So manch einen Bewohner der Wenge hatte

 

er von seiner Krankheit geheilt.

 

Der Schäfer war ein ganz besonderer Mensch. Er liebte nicht nur seine Schafe,

 

er liebte die Natur, er war ein Menschenfreund und er war ein gottesfürchtiger

 

Mann. Das Spökenkiekern, das konnte er nicht lassen. Eines Abends ging der

 

Bauer wieder mal zum Schäfer. Er wollte wissen, was die Zukunft bringen würde

 

und sagte: „Spökenkieker, säch mi, wat kümmt, vertell mi dat.“ Der Schäfer antwortete:

 

„Bue, dat will ik daun. Ik se ein riesiget schwattet Ungeheuer mit graute

 

Nüstern. Dat Ungeheuer speit Füer, faucht und stöhnt, dat die Gänsehaut

 

über den Buggel leppt.“ Der Bauer dachte, dass der Schäfer nun völlig verwirrt

 

sei. Kopfschüttelnd und nachdenklich ging er nach Hause.

 

Es dauerte nicht mehr lange, da liefen zwei Bahngleise quer durch die Gälkenheide.

 

Eine Dampflok fuhr schnaufend in Richtung Coesfeld und die andere ratternd

 

in Richtung Borken. Jetzt wusste der Bauer, was der Schäfer meinte. (Marga

 

Belz)

 

Literatur:

 

Edelgard Moers (Hrsg): Dorstener Geschichten. Dorsten 2000. Seite 30 ff.